Arbeit 4.0 - die Digitalisierung der Arbeitswelt

Gefahren und Chancen im Blick

04.11.2016
Augenscreen

Lübeck, 15. Oktober 2016 | Unter dem Motto „Arbeit 4.0 – die Digitalisierung der Arbeitswelt“ fand die Auftaktveranstaltung zu einer neuen Veranstaltungsreihe von ver.di Nord und den Kooperationspartnern DGB Nord, Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt (KDA) und der Heinrich-Böll-Stiftung in Lübeck statt.  Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe stehen die Veränderungsprozesse sowie die gesamtgesellschaftlichen und politischen Perspektiven, welche durch die Digitalisierung der Arbeitswelt erwartet werden. Sowohl in der Produktion, wie auch und gerade im Dienstleistungsbereich sind die Folgen bereits deutlich zu spüren: Cloudworking und Crowdsourcing stehen beispielhaft für ein verändertes Tätig sein, zunehmend prekär und immer häufiger ohne klassische Betriebsstrukturen. Supermärkte beispielsweise setzen auf Selbst-Scan-Kassen, die Mitarbeiter helfen nur noch bei Schwierigkeiten weiter.

Unsere Bankkonten werden online geführt, und wir wundern uns auch nicht mehr über eine vollautomatische Apotheke. Die Digitalisierung hat die betrieblichen Prozesse fest im Griff und damit direkt auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Nicht nur gesetzliche Interessenvertretungen, Belegschaften, oder direkt Betroffene, sondern wir alle stehen vor neuen Herausforderungen und Entscheidungen. „Wir wollen darstellen, worum es geht, und wohin es geht, sowie die Frage stellen, wir in Zukunft leben wollen“, so der ver.di-Sekretär Peter Junk zum Ziel der Veranstaltungsreihe „Arbeit 4.0 – die Digitalisierung der Arbeitswelt“.  Rund 50 überwiegend jüngere BesucherInnen folgten interessiert den Ausführungen der beiden Referenten, Karl-Heinz Brandl, Leiter der Abteilung Innovation und Gute Arbeit der ver.di-Bundesverwaltung und Dr. Ralf Ptak, Volkswirt des KDA der Nordkirche.

Die Referenten gingen in ihren Vorträgen auf wesentliche Aspekte der Digitalisierung 4.0 ein, wie z.B. neue Belastungen durch Arbeitsverdichtung und ständige Erreichbarkeit für ArbeitnehmerInnen, oder wie sich Tätigkeitsprofile wandeln und was dies bedeutet für Weiterbildung und Qualifizierung. Darüber hinaus wurden Anforderungen an die betriebliche Mitbestimmung thematisiert, sowie Chancen der Digitalisierung der Arbeitswelt aufgezeigt, etwa für alternsgerechtes Arbeiten und die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.

Die Chancen der Digitalisierung werden sich nicht im Selbstlauf realisieren lassen. Vielmehr wird die Einmischung von Gewerkschaften sowie Betriebs- und Personalräten notwendig sein. Charly Brandl ging abschließend auf die aktuelle ver.di-Stellungnahme zum BMWi-Grünbuch „Digitale Plattformen“ ein. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sieht u.a. erheblichen Regelungsbedarf für „Homeoffice“-Arbeitsplätze und eine Erwerbstätigenversicherung für alle Crowdworker vor. Für ver.di sind insbesondere die folgenden Handlungsfelder zu durchleuchten:

  • Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Sicht auf die Ökonomie digitaler Plattformen:
    Zum Verhältnis von Wirtschaft, Arbeit und öffentlichem Dienst,
  • Handlungsfeld Ordnungsrahmen und Wettbewerbsrecht,
  • Handlungsfeld Infrastrukturausbau und -finanzierung,
  • Handlungsfeld Datenschutz und Persönlichkeitsrechte,
  • Handlungsfeld "Rechtssystem 4.0",
  • Handlungsfeld institutionelle Kompetenzen und Struktur.

Nähere Ausführungen hierzu siehe Downloadbereich „ver.di-Stellungnahme vom 30.09.2016“.

Arbeiten 4.0 sicher und gesund gestalten

Den Kern der Digitalisierung in der Industrie bildet die Einführung von cyber-physischen Systemen, in denen softwaretechnische und mechanische Komponenten per Netzwerk verbunden sind. Wurden früher einzelne Arbeitsprozesse automatisiert, sollen heute die gesamte Produktion und die mit der Produktion verbundenen Dienstleistungen miteinander verknüpft werden. Die Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen zeichnen sich bisher in ersten Konturen ab. Einige Wissenschaftler sehen den Menschen zukünftig nur noch als Überwacher, entbunden von allen beschwerlichen und gefährlichen Tätigkeiten. Sie verbinden damit Freiräume für anspruchsvolle Tätigkeiten. Andere sagen eine De-Qualifizierung vieler Teile der Beschäftigten voraus.

Aus Sicht des Arbeitsschutzes beinhaltet die Digitalisierung vielfältige Auswirkungen auf die Sicherheit, Gesundheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten. Denn der Digitaler Wandel erfasst nicht nur die Produktion, sondern alle Bereiche der Wirtschaft, von der Entwicklung über die Planung bis hin zum Management. Digitalisierung macht mobil und flexibel und erlaubt nahezu unbegrenztes Arbeiten: am Arbeitsplatz, daheim ebenso wie unterwegs auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder zum nächsten Termin. Innovative Fertigungstechniken und Arbeitsmethoden schaffen jedoch neue Unfallgefahren, beispielweise dort, wo Mensch und Roboter ohne Schutzzaun zusammenarbeiten oder wo immer mehr Bildschirme die Informationsflut erhöhen. Neue Verfahren generieren u.a. bislang unbekannte Gefahrstoffbelastungen, wie die Nanotechnologie. Zunehmende Vernetzung, ob von Produktionssystemen oder Arbeitsplätzen generell, erhöht das Risiko von Datenangriffen oder -manipulation. Digitalisierung verdrängt vielfach manuelle Tätigkeiten und begünstigt Bewegungsarmut, einseitige körperliche oder mentale Belastungen oder Kombinationen aus beidem. Digitale Medien und Arbeitsverfahren stellen wachsende Anforderungen an Qualifikationsinhalte und -methoden, aber auch an die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Digitale Technologien schaffen schließlich völlig neue Formen der Arbeit, wie Crowd- und Clickworking, für die sich die Frage stellt, wie Prävention hier grundsätzlich wirksam werden kann.

Nach Meinung der Arbeitsschützer aus dem IFA-Arbeitsschutzinstitut bietet der digitale Wandel neben möglichen Risiken für die Beschäftigten jedoch auch ein großes Potenzial, Arbeit künftig sicherer, gesünder, flexibler und integrativer zu gestalten. Die Möglichkeiten reichen von intelligenter Sicherheitstechnik, neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen und virtuellem Engineering über Datenbrillen und altersgerechte Assistenzsysteme bis zu digitalen Qualifikationshilfen. In der DGUV-Präventionsforschung werden gegenwärtig die folgenden drei Themen als besonders dringlich betrachtet:

  • Arbeitsverdichtung und längere Arbeitszeiten,
  • Zunehmender Anteil älterer Menschen im Arbeitsprozess,
  • Vernetzung, Erreichbarkeit, Kontrolle durch Computer und Informations- und Kommunikationstechnologien.

Neben den neuen Gefährdungen bei der Arbeit sehen Experten aber auch allgemeine Gefahren für Bevölkerung und Umwelt, die im Zusammenhang mit der Digitalisierung stehen. Vor über zehn Jahren wiesen Ärztinnen und Ärzte im „Freiburger Appell“ bereits auf gesundheitliche Gefahren hin, welche durch die der Nutzung des Mobilfunks entstehen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse belegen seit Jahrzenten schädigende Effekte elektromagnetischer Felder und die damit verbundene grundsätzliche Beeinträchtigung biologischer Regelkreise. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Mai 2011 Handystrahlung aufgrund des Anstiegs des Hirntumorrisikos bei mehrjähriger intensiver Handynutzung als möglicherweise krebserregend eingestuft. Ziel muss es daher sei, die Entwicklung gesundheitsverträglicher Techniken der Kommunikation und der Stromnutzung zu fördern, z.B. durch den Ausbau der Glasfasernetze. Glasfasernetze stellen bekanntlich eine zeitgemäße, zukunftsfähige und leistungsgerechte Technologie für den steigenden Bedarf an Datenübertragungskapazitäten dar.

Peter Junk von ver.di-Nord freut sich, wenn die weiteren Veranstaltungen zu „Arbeit 4.0 – die Digitalisierung der Arbeitswelt“ ebenso eine gute Resonanz finden wie die Auftaktveranstaltung. Die Veranstaltungsreihe endet mit einer kompetent besetzten Podiumsdiskussion im April 2017. Themen werden dann die gesamtgesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Digitalisierung sein. (ha)